Zielgruppenansprache in Wahlversprechen (GROUPTA)

Welche Rolle spielen Gruppenzugehörigkeiten und -wahrnehmungen bei der Bewertung von und Reaktion auf Wahlversprechen?

Projektbezeichnung:
Zielgruppenansprache und die Reaktion der Bürger:innen auf Wahlversprechen und deren Umsetzung (GROUPTA)

Laufzeit:
10/2021 – 09/2023

Finanzierung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft

Projektleitung:
Dr. Elisa Deiss-Helbig

Projektteam:
Dr. Isabelle Guinaudeau (Sciences Po Bordeaux)
Dr. Theres Matthieß (Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung)
Prof. Dr. André Bächtiger (Universität Stuttgart)

Kurzvorstellung:
GROUPTA untersucht, unter welchen Bedingungen Bürger:innen politische Angebote, in Form von Wahlversprechen, unterstützen (prospektiv) und wie sie auf die Erfüllung (und das Brechen) von Wahlversprechen reagieren (retrospektiv). Im Fokus steht hierbei die Frage, welchen Einfluss die Ansprache bestimmter sozialer Gruppen in Wahlversprechen hat und ob die Bewertung der Wahlversprechen davon abhängt, ob die Wähler:innen persönlich betroffen sind oder ob sie die jeweilige Gruppe als „deserving“ wahrnehmen.

Soziale Gruppen und Gruppenzugehörigkeiten spielen seit jeher eine große Rolle in vielen Bereichen der politikwissenschaftlichen Forschung. Dennoch wissen wir wenig darüber, ob und wie Wähler:innen reagieren, wenn Gruppen in Wahlprogrammen angesprochen werden, zu denen sie gehören bzw. die sie als „deserving“ betrachten. Auch fehlen empirische Erkenntnisse darüber, inwieweit Reaktionen auf die Erfüllung oder das Brechen von Wahlversprechen abhängig sind von der jeweiligen Gruppe, für die das Versprechen gemacht wurde. Die in den Wahlprogrammen von Parteien oder Kandidierenden enthaltenen Versprechen richten sich auf unterschiedliche Weise an verschiedene Gruppen. Jede:r Bürger:in kann daher mehrere gruppenbasierte Heuristiken verwenden, um Parteiprogramme zu vergleichen, die verschiedenen Gruppen auf positive oder negative Weise ansprechen. Wir argumentieren, dass diese Heuristiken nicht nur die Bewertung des Wahlangebots durch die Bürger:innen und ihre (prospektive) Wahlentscheidung zwischen verschiedenen Programmen beeinflussen, sondern auch ihre (retrospektive) Bewertung der Leistungen der etablierten Parteien im Hinblick auf die Erfüllung oder das Brechen von Wahlversprechen.

GROUPTA wird einen entscheidenden Beitrag zu der beschriebenen Forschungsagenda leisten, indem die folgenden Fragestellungen auf der Grundlage einer Online-Umfrage beantwortet werden, die während realer Wahlkampagnen in zwei unterschiedlichen politischen Kontexten, Deutschland und Frankreich, durchgeführt wird:

  1. Reagieren die Wähler:innen auf aktuelle Versprechen (prospektiv) und auf die Erfüllung bzw. das Brechen von früheren Versprechen durch die amtierende Regierung (retrospektiv) basierend darauf, ob sie persönlich betroffen sind (egozentrisch) oder auf Grundlage der „deservingness perceptions“ (soziotropisch) der betroffenen Gruppen?
  2. Beeinflusst die Ansprach von sozialen Gruppen in Wahlversprechen auch grundsätzlichere Einstellungen gegenüber dem politischen System und die Bereitschaft der Bürger:innen, bei Wahlen ihre Stimme abzugeben?

Im Mittelpunkt des Forschungsdesigns steht eine ca. 25-minütige Online-Umfrage, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 in Deutschland und der Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich durchgeführt wird. Die Umfrage wird in beiden durch das gleiche Umfrageinstitut (Psyma) durchgeführt und umfasst je ca. 6.000 Befragte in Deutschland und in Frankreich. Stichprobe ist die jeweils wahlberechtigte Bevölkerung in beiden Ländern. Kernstück neben allgemeinen politischen Einstellungsfragen, Fragen zu “deservingness perceptions“ von ausgewählten Gruppen sowie zur Einschätzung der Umsetzung von Wahlversprechen sind ein Paired Conjoint-Experiment sowie ein einfaches Umfrageexperiment.

In dem Paired-Conjoint Experiment wird den Befragten eine zufällige Gegenüberstellung von jeweils neun Wahlversprechen pro Partei (Partei A & Partei B) vorgelegt (siehe beispielhaft für die Umfrage in Deutschland die Graphik unten) (s. ähnlich Horiuchi et al., 2018). Diese Darstellung ähnelt Gegenüberstellungen von Parteipositionen zu bestimmten Themen, die im Vorfeld von Wahlen oft durch Interessengruppen vorgenommen und veröffentlicht werden. Um die externe Validität des Experimentes zu erhöhen wurden die Versprechen den realen Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2021 bzw. die Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich entnommen. Die Versprechen zielen jeweils (positiv oder negativ) auf die folgenden neun ausgewählten Zielgruppen (attributes) – in der Umfrage dargestellt als Politikfelder (s. Graphik oben):

  • Arme Menschen
  • Vermögende Menschen
  • Unternehmer:innen
  • Arbeitnehmer:innen
  • Arbeitslose
  • Junge Menschen
  • Ältere Menschen
  • Frauen
  • Einwander:innen

Für jede Gruppe wurden jeweils zwei Versprechen aus den Wahlprogrammen entnommen, die die Gruppe positiv ansprechen (d.h. Vorteile für die Angehörigen dieser Gruppe beinhalten) und zwei, die die Gruppe negativ ansprechen (d.h. materielle/ideelle Kosten für die Angehörigen dieser Gruppe beinhalten) (attribute levels). Den Befragten werden vier Gegenüberstellungen (conjoint tables) nacheinander gezeigt. Zu jeder dieser Gegenüberstellung wird gefragt, welche der zwei Parteien der/die Befragte eher wählen würde (choice based) und wie ansprechend er/sie das jeweilige Parteiprogramm findet (rating based).

Das Paired-Conjoint Experiments wird es uns ermöglichen, zu analysieren, unter welchen Bedingungen Wähler:innen Wahlprogramme unterstützen und ob dies von der eigenen Betroffenheit (egozentrisch) oder auch von „deservingness perceptions“ der in den Wahlversprechen angesprochenen Gruppen abhängt.

In dem Umfrageexperiment wird den Befragten in der treatment group eines von sieben realen Wahlversprechen aus dem Koalitionsvertrag der letzten Bundesregierung (19. Legislaturperiode) angezeigt (s. Tabelle) und der Erfüllungsstatus des Versprechens (erfüllt/gebrochen) mitgeteilt. Die Befragten wurden anschließend gefragt, ob sie überrascht darüber sind, dass dieses Versprochen erfüllt bzw. gebrochen wurde. Die Befragten in der Kontrollgruppe erhalten eine Information über die Zusammensetzung der aktuellen Regierung in Deutschland bzw. den Präsidenten in Frankreich.

Unser primäres Interesse besteht nicht darin, zu erfahren, ob sich die Befragten der Erfüllung oder des Bruchs der ausgewählten Versprechen bewusst sind. Ähnlich wie bei Naurin et al. (2019) im schwedischen Kontext und in Anlehnung an die Policy Feedback-Literatur konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen unseres Treatments auf die Bewertung der Regierungsleistung sowie auf grundlegendere Einstellungen gegenüber dem politischen System und die Bereitschaft zur Teilnahme an der nächsten Wahl.

We will present the first two papers from the GROUPTA project at the EPSA Conference in Prague (June, 23-25 2022).

The first paper deals with deservingness perceptions of social groups. Making use of survey data gained through the online survey that was conducted as part of the GROUPTA project shortly before the last German federal election, we explore the homogeneity as well as the individual determinants of the deservingness perceptions.

Abstract

The relevance of “deservingness perceptions” is well established in research on public opinion towards social policy. This literature points to a universal rank order of groups that are perceived as more or less deserving or not deserving at all. However, the focus on group characteristics believed to determine deservingness implies that little attention has been paid to the possibility that deservingness perceptions are contentious. We argue that a majority of groups will probably feature a more contrasted profile and that,  depending on their political ideology and group membership, individuals are likely to weight deservingness criteria differently. The findings of an online survey conducted among more than 5,500 German respondents support these assumptions.

EPSA-Panel "Inequality, Redistribution and Deservingness"

 

The second paper is a survey experimental test on voters' reactions to group targeted pledge performance. By relying on data gained through a survey experiment in which respondents were informed about fulfilment or breakage of one pledge extracted from the coalition agreement of the last Grand coalition (2017-2021), we ask how pledge support and being member of a group that is targeted by a pledge affect retrospective pledge voting. 

Abstract

When and how do voters respond to group targeted pledge (non-)fulfilment? While research on the reasons why pledges are (not) fulfilled has been growing in the last couple of years, voters' reactions to government pledge fulfilment is still understudied. Previous research on citizens' retrospectively oriented reactions has mainly focused on studying the effects of a government's performance (sociotropic or egocentric) unrelated to election pledges. While there is initial evidence that voters punish governments for breaking their pledges, we still lack knowledge to which kind of pledges voters respond in a positive or negative way. We acknowledge the growing importance of group targeting and mobilization, i.e., the fact that parties make election pledges addressing specific groups of voters positively or negatively, such as business owners or migrants. We argue that policy consistency and group membership strengthens retrospective pledge voting. To test these expectations, we rely on a survey experiment based on real broken or fulfilled election pledges conducted during the election campaign for the 2021 legislative elections in Germany (N > 5,000). We find evidence that pledge breakage is punished, but there is not reward of pledge fulfilment - this pattern does not change if citizens' self-interest (group membership) is taken into account. This provides evidence that retrospective pledge voting is less about policy gains or losses, but more about citizens' trust in parties to be reliably and competent actors. 

EPSA-Panel "Retrospective Voting and Accountability"

Dieses Bild zeigt Elisa Deiss-Helbig

Elisa Deiss-Helbig

Dr.

Research Fellow

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